Geschichte ist das, was die Nachwelt daraus macht. Bei A United Kingdom war mir schon
aufgefallen, dass in letzter Zeit immer häufiger wahre Geschichten verfilmt werden, die aus heutiger Zeit mutig erscheinen
und die damaligen normalen Bürger etwas lächerlich erscheinen lassen. We want sex war eine Komödie,
wo ich mir das auch schon anhören durfte, dass die Zeiten damals so waren. Durch die Komödie war für mich noch der Anspruch
an Wahrhaftigkeit genommen.
Victoria & Abdul handelt von Abdul Karim, der 1887 anläßlich des goldenen Thronjubiläums von Queen Victoria aus Indien nach
England gebracht worden ist und ungeschickterweise die Aufmerksamkeit Ihrer Majestät erhaschte. Infolgedessen wurde er zu
ihrem Diener und später auch zu ihrem Lehrer oder Munshi ernannt. Bis zum Tod Queen Victorias im Jahre 1901 verbringt Abdul
die Zeit in England mit Ausnahme einer Periode, wo er seine Frau nach England holen darf. Die ganze Zeit über stößt sich der
englische Haushalt daran, dass ein Muslim und Inder solch eine gehobene Stellung am Hofe Ihrer Majestät erlangt hat. So ist
es auch nicht verwunderlich, dass Victoria & Abdul, den ich gestern im englischen und Hindi-/Urdu-Original mit gut lesbaren
deutschen Untertiteln gesehen habe, besonders die Stellen heraushebt, an denen Abdul etwas aus englischer Sicht
Ungebührliches macht, oder sich das Establishment - auch in Form des Thronfolgers Bertie - empört.
Mit unserem demokratischen, bürgerlichen Hintergrund fällt es uns schwer, die Rollen in einer feudalen Standesgesellschaft
noch richtig einzuordnen. Ich beschäftige mich aus anderen Gründen mit der Genealogie eines englischen Dukes und bekomme
immer mehr Einblicke, wie die englische Adelsgesellschaft aus einer feudalen Brille funktioniert. Es ist zum Beispiel so,
dass auch aus dem House of Lords Minister ernannt werden können. Winston Churchill stammt aus der Familie der Dukes of
Marlborough. Lady Di ist die Tochter des Earl Spencer, der auch einen Sitz im House of Lords hatte. Uns wurde sie als
bürgerliche Kindergärtnerin verkauft, aus anderer Sicht war sie dann doch nicht so unadelig.
Der Leiter des königlichen Haushalts in Victoria & Abdul, Henry Ponsonby, stammt aus der Familie der Earls of Bessborough;
sein Vorgänger Charles Grey ist der Sohn von Earl Grey. Da verwirrt es schon, wenn die Königin sich herausnimmt, einen
Schreiber aus dem Gefängnis in Agra als ihren persönlichen Lehrer einzusetzen, welches sie als Königin durchaus darf. Diese
absolute Macht der Königin wirkt für uns doch sehr verwirrend.
Irgendwie verzichtet Victoria & Abdul auf Zeitangaben, wodurch die realen 14 Jahre irgendwie wie zwei Jährchen wirkten. Wenn
man den Umgang von Indern gewohnt ist, gibt es ab und zu einige komödiantische Momente. Von mir gibt es 8 Euro für gezahlte
7,50 Euro.